Eine „kleine Feder“ bewegt die Welt
Nicht lange her, da schrieb ich für ein Magazin einen Text über diese besondere und mutige Frau, über Sacheen Littlefeather.
Nun starb sie im Alter von 75 Jahren und ich bin traurig.
Das Titelbild zeigt Häuptling Spotted Elk (in der Literatur auch Big Foot genannt) tot im Schnee bei Wounded Knee (29. Dezember 1890) Foto: Von Autor/-in unbekannt oder nicht angegeben – U.S. National Archives and Records Administration, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17062175
Der James-Bond-Darsteller Roger Moore und die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann halten anlässlich der Oscar-Verleihung am 27. März 1973 eine Laudatio auf Schauspielerlegende Marlon Brando.
Für die Darstellung des Don Vito Corleone im Mafia-Film „The Godfather“ soll ihm an diesem Abend und im Anschluss an die Nennung der Nominierten, eingeleitet mit obligatorischen Worten „And the winner is…“, ein Oscar für die beste Hauptrolle verliehen werden. Applaus brandet auf im festlich geschmückten Dorothy-Chandler-Pavillon in Los Angeles. Doch anstelle des dergestalt geehrten Marlon Brando, erhebt sich aus den Reihen der Hollywoodgrößen im Publikum eine junge Frau und begibt sich Richtung Bühne.
Vor dem Saalpublikum und vor ca. 85 Millionen Zuschauern an den TV-Geräten – die Sendung wird 1973 zum ersten Mal per Satellit übertragen – gelangt die junge Frau schließlich, gekleidet in ein traditionell indianisches Wildlederkleid mit Fransen, die Füße in Mokassins, ihre glatten langen schwarzen Haare zu zwei Zöpfen geteilt und mit indianischem Haarschmuck versehen, auf die Bühne, und wird dort von Moore und Ullmann in Empfang genommen. Als Moore ihr direkt den Oscar überreichen will, hebt sie ihre rechte Hand und wehrt zaghaft, aber dennoch bestimmt ab.
Sichtlich irritiert treten die beiden Oscar-Modertoren beiseite und überlassen der jungen Frau Rednerpult und Mikrophon.
„Hallo“, beginnt sie ihre Rede, „my name is Sacheen Littlefeather“. Und dann erklärt sie: Ich bin Apachin und Aktivistin der American Indian Movement. (Erkl.: die AIM ist eine seit 1968 bestehende indianische Organisation in den USA, sie sich als indigene Bewegung gegen Korruption und Machtmissbrauch in den offiziellen indianischen Reservaten sowie für eine Revision der Indianerpolitik der USA einsetzt.)
„Ich vertrete heute Abend Marlon Brando“, spricht die damals 26-jährige Sacheen Littlefeather weiter, „der mich gebeten hat, Ihnen in einer langen Rede, die ich leider aus Zeitgründen nicht mit Ihnen teilen kann, die ich aber im Anschluss gerne der Presse übergebe, mitzuteilen, dass er es bedauert, diese großzügige Auszeichnung nicht annehmen zu können. Die Gründe dafür liegen in der Behandlung amerikanischer Indianer durch die Filmindustrie“.
Während ihres gesamten Auftritts macht Sacheen Littlefeather einen eher schüchternen und bescheidenen Eindruck, sie lässt sich allerdings nicht beirren und von ihrer Mission, Hollywood, vielmehr die ganze Welt auf ihr Thema aufmerksam zu machen, abbringen.
Durch die Menge geht Geraune. Sacheen Littlefeather bittet um Entschuldigung. Es wird dann auch vereinzelt geklatscht. Die Kamera bleibt auf sie und ihr hübsches Gesicht mit den ausdrucksvollen Augen gerichtet. Schließlich vermischen sich Buhrufe und Applaus und sie spricht weiter: „… und im Fernsehen und auch wie es aktuell geschieht in Wounded Knee.“
Nachdem sie die Weltöffentlichkeit auf ihre ganz besonders gewinnende, ja sanftmütig wirkende und eindringliche Weise auf die Missstände in der Behandlung der indigenen Ureinwohner der USA aufmerksam gemacht hat, verlässt Sacheen Littlefeather die Bühne über den Bühneneingang, währenddessen es unten im Publikum zu tumultartigen Szenen kommt.
Unter anderem, das erzählt sie in den Folgejahren immer wieder in Interviews, müssen sechs Security-Leute den damaligen Weltstar und Publikumsliebling John Wayne am Bühnenausgang festhalten, um ihn daran zu hindern, auf Sacheen Littlefeather loszugehen, so hemmungslos gebärdet er sich in der Öffentlichkeit gegenüber Littlefeathers Mut und Mission. Wayne ist einer der großen Stars des klassischen Hollywood-Western, der in seinen Rollen und auch in privat geäußerten Statements das Narrativ vom braven Siedler bedient, dem bei seinem Neustart im angeblich weitgehend unbewohnten Amerika „die Wilden“ (Indianer) blutrünstig auflauerten. Der amerikanische Autor Glenn Greenwald zitiert Wayne mit einer Bemerkung über Amerikas Ureinwohner, die aus einem Playboy-Interview im Jahr 1971 stammt: „Ich denke nicht, dass wir etwas falsch gemacht haben, als wir ihnen dieses große Land weggenommen haben […] Da waren eine Menge neuer Menschen, die viel Land brauchten. Die Indianer waren egoistisch und wollten es behalten.“
Auch Clint Eastwood äußerte sich während der Oscar-Verleihung im Anschluss an Littlefeathers Auftritt abwertend, indem er sich bzw. das Publikum ironisierend um Rat bat, ob er nun seinen Oskar vielleicht allen jemals in John-Ford-Western-Filmen erschossenen Cowboys widmen solle.
Sacheen Littlefeather arbeitete bis dahin bei KFRC, einem Radiosender in San Francisco, und war in verschiedenen Rollen als Schauspielerin und in Werbespots aufgetreten. Geboren wurde sie am 14. November 1946 in Salinas in Kalifornien als Marie Cruz. Ihre Mutter war deutsch-französisch-niederländischer Abstammung, ihr Vater gehörte den White Mountain Apaches an. Nach Abschluss der Schule nahm sie den Namen Sacheen Littlefeather an, um sich mit ihrer indianischen Herkunft zu identifizieren. Das Angebot von Brando, im Rahmen der Oscar-Verleihung eine Rede zu halten, nahm sie dankbar an, um auf Situation im von indianischen Aktivisten besetzten Wounded Knee aufmerksam zu machen. Der kleine Ort, dessen Name seit dem Massaker im Jahr 1890 weltweit bekannt ist, war wieder einmal in die Schlagzeilen gerückt. Damals töteten Soldaten der US-Kavallerie bis zu 350 Kinder, Frauen und Männer der Minneconjou-Lakota-Sioux-Indianer, und brachen durch diesen Gewaltakt den letzten Widerstand der Indianer gegenüber den weißen Besatzern. Die Besetzung der Aktivisten, die im Februarar 1973 begonnen hatte, sollte 71 Tage dauern. Die US-Behörden gingen mit einem Großaufgebot von FBI-Agenten, Scharfschützen und der Nationalgarde brutal gegen die Aktivisten vor. Es kam zu etlichen Toten und Schwerverletzten.
Die von Brando ausgearbeitete umfassende Rede zur Situation und Geschichte der indigenen Ureinwohner hielt Sacheen Littlefeather im Anschluss an die Preisverleihung vor der Presse und in ihrer vollen Länge.
Sie setzt sich bis heute für die Rechte der indigenen Bevölkerung der USA, der Native Americans, ein, tritt bei Powwows und anderen indianischen Festen auf und ist in vielen Interviews im Radio und TV zu sehen.
Mit ihrem spektakulären, weil bis dahin undenkbaren, und gleichzeitig spektakulär leisem Auftritt in Hollywood hat sie Geschichte geschrieben. Nie zuvor hatte sich bis dahin eine – wie sie es selbst beschreibt – Woman of Color Vergleichbares getraut. Die Vorwürfe gegenüber Brando, er habe sie benutzt, um an seiner statt ausgebuht zu werden, entkräftet Sacheen Littlefeather konsequent. Sie hätten einander bereits zuvor gekannt und sie sei ihm dankbar dafür, dass er ihr und der Sache diese einmalige Gelegenheit geboten habe.
Dass der Auftritt ihrem beruflichen Erfolg in den Hollywood-Studios geschadet habe, darf angenommen werden. Ihrer Berufung, sich zeitlebens für die Rechte der Native Americans zu engagieren, hat ihr couragierter Auftritt maßgeblich beflügelt.
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Die berühmte Oscar-Rede von Sacheen Littlefeather: