Für die Ukraine! Für die Demokratie!
Vom Zögern zur Überzeugung
Ich habe recht lange gebraucht, um eine konkrete Position zum Thema „Krieg in der Ukraine“ zu entwickeln. Im Nachhinein bin ich über meine eigenen anfänglichen Gefühle traurig. Und auch enttäuscht von mir.
Seit 2015 bestimmt das weltweite Flüchtlingselend einen großen Teil meiner Gedanken und auch meines Lebens. Da war einfach kein Platz für die Ukraine, um das mal stark abgekürzt zu formulieren. Ich habe in einer Mischung aus Verwunderung und Respekt zur Kenntnis genommen, wie sich viele meiner Freunde sofort und eindeutig positionieren konnten, während mich – das muss ich mir eingestehen – die Angst vor Putins atomarem Drohgehabe bestimmt hat. Und auch so eine diffuse Abwehrhaltung gegenüber der Ukraine und ihrem Anspruch als eigenständige Nation. Was mich vor einem Jahr bewegt hat, war der unbedingte Wunsch, nicht noch mehr Elend erleben zu müssen. Nicht noch mehr Menschen, die fliehen müssen, die getötet werden, zu sehen.
Putin – schlimmer, als je befürchtet
Die Wut auf Putin – auf Putin-Russland – sie war sofort da, einmal mehr auch, weil mir klar war, welches Elend sein Eingreifen in Syrien verursacht hat. Allein ein Gefühl für die Ukraine, für ihre Souveränität zu entwickeln, fiel mir schwer aus den genannten Gründen.
Allem voran aber hat mich große Ratlosigkeit überfallen, als Putin die Ukraine überfallen hat. Ratlosigkeit, die in eine Art emotionale Schockstarre mündete. Ja, in Feigheit, eine Haltung zu entwickeln.
Ein Jahr Krieg – ein Jahr Zeit, die Zusammenhänge zu verstehen
In diesem zurückliegenden Jahr habe ich mir Zeit genommen, mich mit dem Thema zu befassen, viele Meinungen zu lesen von Fachleuten, von Historikern, Russlandexperten, von Journalisten und belesenen Freunden und Bekannten, von Menschen, die sich beruflich, auch wissenschaftlich, mit dem Themenkomplex befassen. Ich beobachte auch seit einem Jahr unsere Bundesregierung, der man definitiv nicht nachsagen kann, sie habe eilfertig und kriegslüstern sondern – im Gegenteil – sehr bedacht und überlegend gehandelt in der Frage, wie sich Deutschland verhalten soll.
Frieden! Vor allem für uns selbst. Und um den Preis der anderen.
Je lauter nun diejenigen anfingen, zu diskutieren, die dieses „Manifest des Friedens“ initiiert haben, je öfter Wagenknecht oder auch Schwarzer öffentlichkeitswirksam im TV platziert wurden, je öfter ich online Bilder sehen und Stimmen lesen musste, die den ukrainischen Staatschef verunglimpfen, die sich intensiv mit dem Gebaren von Ukrainern und nicht im mindesten mit dem der angreifenden Russen befassten, desto intensiver ist bei mir der Wunsch gewachsen, all dem etwas entgegensetzen zu wollen. Und zwar mit Argumenten, die darüber hinausgehen, selbst möglichst ungeschoren aus der Auseinandersetzung mit Putin hervorgehen zu wollen.
Und als genau das empfinde ich das Wesen dieses Manifests: Die Unterzeichner wollen vor allem eines, und das ist ein Frieden für sich, für Deutschland.
Angst. Sie war noch nie ein guter Ratgeber.
Ich habe Angst davor, dass uns dieser Krieg auch über ausbleibende Gaslieferungen, Preissteigerungen und die Aufnahme von Geflüchteten hinweg direkt betreffen wird. Ich möchte definitiv weder mein Zuhause verlieren noch sterben wegen Putin und seinen Allmachtsfantasien!
Aber: Ich sehe auch, dass wir – dass Deutschland – einen nicht geringen Anteil am Erstarken Putins tragen. Das tun wir, weil wir jahrzehntelang einer vor allem wirtschaftsorientierten Politik mit Russland den Vorzug gaben und bei all seinen Angriffen auf andere Nationen alle Augen zugedrückt haben. Unter anderen wir Deutschen haben diesen Mann und seine Bande von Oligarchen steinreich gemacht und selbst wirtschaftlich maßgeblich davon profitiert.
Putin führt auch Krieg gegen uns. Gegen die Demokratie.
Diese vermeintlich gute Zusammenarbeit hat Putin nicht davon abgehalten, zeitgleich massive digitale und manipulativ zerstörerische Angriffe auf etliche westliche Nationen zu fahren. Er hat mit seinen „Cyberkriegern“ die Wahlen in den USA torpediert, er wollte Trump ins Amt hieven, er fährt bei Wahlen in Afrika manipulierende Attacken, um sich dort über Umwege den Zugang zu Bodenschätzen zu sichern, er hat den Bundestag digital angegriffen und er hat dafür gesorgt, dass inzwischen halb Syrien in Deutschland leben muss, indem er den Massenmörder Assad unterstützt. Dies ist nur ein Ausschnitt seines „Schaffens“; seine Friedfertigkeit und Verhandlungsbereitschaft sind, davon bin ich überzeugt, einfach ein frommer Wunsch und nicht mehr.
Seine Stärke ist die Schwäche der anderen?
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass man diesem Mann mit Stärke begegnen muss. Wenn von Verhandlungen die Rede ist, dann finden diese nur auf Augenhöhe statt, wenn beide Verhandlungspartner annähernd gleich viel auf die Waage bringen, wenn sie einander respektieren müssen.
Wenn ich unbewaffnet bin und mir jemand die Pistole auf die Brust setzt und mit mir verhandeln soll, dann ist das Ergebnis für meine Position eigentlich schon ziemlich klar. Ich werde mich kaum durchsetzen können. Darum halte ich es für richtig, dass die Ukraine gestärkt wird durch Kräfte von außen, also auch durch uns , durch Deutschland.
Solidarität ist Stärke.
Man muss kein Fachmann und kein Historiker sein, um sich vorzustellen, wie jemand sich entwickelt, dem keine Grenzen gesetzt sind oder werden.
Wir haben alle unzählige Kinofilme gesehen und Bücher gelesen, in denen das Recht des Stärkeren am Ende an der Gemeinschaft und Solidarität der vermeintlich Schwächeren gescheitert ist. Und ausgerechnet da, wo wir nun einmal selbst gefragt sind, soll das plötzlich anders sein? Und man will das Opfer nötigen, mit dem Ganoven, dem Verbrecher, dem Mörder, dem Terroristen zu verhandeln? Und zitiert hierzu China herbei, ein weiteres totalitär geführtes Regime, das zudem die Stärke und die Macht hätte, Putin und Russland in die Schranken zu weisen, anstelle von 12-Punkte-Papieren, die sich auch an das angegriffene Land Ukraine richten?
Sie reden nur über sie, nicht mit ihnen.
Am meisten an diesem Manifest stört mich, dass es von zwei Frauen initiiert wurde, die weder in ihren Worten noch in ihrer Attitüde erkennen lassen, dass in der Ukraine seit einem Jahr Millionen Menschen täglich unter dem Terrorismus Putins leiden, gequält werden, sterben. Ich sehe da keinerlei Empathie, kein Mitgefühl, ja noch nicht einmal das Anerkennen dessen, dass diese Menschen auch selbst eine Stimme haben, einen Willen und ein Wollen. Das macht für mich die Absichten hinter diesem Papier so transparent.
Die zur Diskussion stehenden Zahlen (600 000 Deutsche sollen ja unterzeichnet haben) in diesem Demonstrationsgemisch (es läuft mit sicherlich ernsthaft um Frieden bemühten Menschen ja auch eine Armada von Putin-Fans, Rechten und Verschwörungsfreunden mit) sind auch nichts weiter, als Theater. Die entsprechende Petition endet ist nichts weiter als eine Stimmensammlung, die von überall auf dieser Welt unterzeichnet werden kann, also auch jederzeit orchestriert und von den Trollfabriken Putins, die Teil seiner Propagandaschlacht sind. Und selbst wenn es sich um 600.000 Deutsche handelte, so ist das doch eine kleine Minderheit, die hier laut wird.
Ich bin sicher, dass Putins manipulatives Tun im digitalen Raum von viel zu vielen unterschätzt wird. (Im aktuellen Spiegel kann man nachlesen, wie massiv im Netz manipuliert wird.) Falls man wissen möchte, mit wem wir es wirklich zu tun haben auf der anderen „Verhandlungsseite“, dann empfehle ich die aktuell auf ARTE laufende Dokumentation, die sich mit dem atemberaubenden Lügengebäude befasst, auf dem Putin diesen Krieg vor seinen eigenen Landsleuten, vor seinem Volk legitimiert.
Schlachtfeld Propaganda – Propagandaschlacht
Putin führt nicht „nur“ Krieg gegen die Ukraine – er führt ihn auch gegen sein eigenes Volk, er führt ihn gegen den Westen, er führt ihn gegen die Wahrheit, gegen die Fakten, er führt ihn auch gegen uns – gegen Deutschland, gegen die Demokratie!
Und darum muss, wenn wir von Verhandlungen sprechen, aus meiner Sicht auf der anderen Seite des Tisches und Putin gegenüber auch unser eigenes Land vertreten sein, und zwar Seite an Seite mit der Ukraine.
Friedensbewegt
Ich wünsche mir Frieden.
An allererster Stelle wünsche ich mir Frieden für die Menschen der Ukraine, die seit bald 380 Tagen, Tag für Tag und Nacht für Nacht, unter dem Terror Russlands zu leiden haben.
Und ich wünsche mir Solidarität für dieses Land.
Und ich wünsche mir Manifeste und Petitionen und Demonstrationen, die sich an Putin richten.
Und einen 12-Punkte-Plan Chinas, der sich an Putin richtet.
Es würde ja schon ein Punkt genügen, um Frieden zu schaffen: Herr Putin, beenden Sie diesen Krieg. Jetzt!
Und ich wünsche mir ein Einsehen derer, die diese Haltung, die meine Einstellung für kriegslüstern und mich und alle anderen, die vergleichbar denken, für Kriegstreiber halten und uns als solche bezeichnen.
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Ein Hinweis auf gute Texte und Beiträge zum Thema
Ich füge hier ergänzend diesen aus meiner Sicht sehr differenzierten und klugen Beitrag von Alexander Prinz auf seinem Youtube-Kanal hinzu. Mit unbedingter Empfehlung, sich das Stück anzusehen.
Außerdem empfehle ich, sich diesen Beitrag auf ARTE anzusehen:
„Propagandaschlacht um die Ukraine“
Der Krieg um die Ukraine findet nicht nur mit militärischen Mitteln statt, sondern auch medial. Der russischen Propagandamaschine begegnet das Land erfolgreich mit einer Graswurzel-Strategie. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch der erste, der in Echtzeit in den sozialen Medien ausgetragen wird. Was bewirken sogenannte War-Toker:innen, Influencer:innen und Trollfabriken?
https://www.arte.tv/de/videos/110484-000-A/propagandaschlacht-um-die-ukraine/
Sowie den Artikel im SPIEGEL zu lesen: „In Russland steht der Wille über der Vernunft“
https://www.spiegel.de/geschichte/historiker-timothy-snyder-zum-ukraine-krieg-in-russland-steht-der-wille-ueber-der-vernunft-a-674b3091-0f20-4259-b457-4358b2071391