75 Jahre STERN – ein Jubiläum ohne Niklas Frank
75 Jahre STERN – ein Jubiläum ohne Niklas Frank

75 Jahre STERN – ein Jubiläum ohne Niklas Frank

75 Jahre STERN – ein Jubiläum ohne Niklas Frank

75 Jahre STERN, eine große Jubiläums-Sonderausgabe, 180 Seiten und nicht ein einziger Satz über Niklas Frank und den Eklat um seine Abrechnung mit dem „Schlächter von Polen“, der sein Vater war. Wie kann das sein?

Dem Namen Niklas Frank bin ich zum ersten Mal begegnet in einer Reihe, die der STERN ab Mai 1987 sechs Wochen lang zum Vorabdruck brachte. Niklas Frank, ehemals Kulturchef beim und Reporter beim STERN, hatte ein Buch geschrieben, in dem er sich intensiv mit dem Leben und den Verbrechen seines Vaters auseinandersetzte. In „Der Vater. Eine Abrechnung“ hat sich der damals 48 Jahre alte STERN-Redakteur in schonungs- und bislang beispielloser Manier mit dem Leben und Sterben seines Vaters Hans Frank auseinandergesetzt. Der war als „Schlächter von Polen“, als Hausjurist (Reichsrechtsführer) von Adolf Hitler und als infolge der Nürnberger Prozesse zum Tode verurteilter und hingerichteter Massenmörder in die Geschichte unseres Landes eingegangen
„Jetzt rechnet sein Sohn mit ihm ab – gnadenlos“, schrieb der STERN damals.
Und gnadenlos fiel dann auch die Abrechnung der Öffentlichkeit mit der Abrechnung des Sohnes aus.

„Ein Fünftel meines Buches wurde zusammen mit dem Titelbild „Mein Vater, der Nazimörder“ im STERN vorabgedruckt und brachte dem Magazin so viele Leserbriefe ein, wie kaum je zuvor“, erzählte mir Niklas Frank jüngst in einem Gespräch. Und weiter: „99% Prozent davon waren negativ ausgefallen, darunter hat es auch Morddrohungen gegeben. Und die Chefredaktion hat extra Dichter, Intellektuelle und Politiker angeschrieben und gebeten, sich zu positionieren, sodass man wenigstens ein paar positive Reaktionen zu vermelden gehabt hätte.“ Und schließlich erzählt er mir, Henri Nannen, damals noch Herausgeber des STERN, habe einem Schweizer Journalisten gegenüber verlauten lassen:

Niklas Frank hat den STERN beschmutzt.

Ich war also ziemlich sicher, dass diese für den STERN und für Niklas Frank folgenschwere Vorveröffentlichung Erwähnung finden würde in der Jubiläumsausgabe des STERN. Doch weder im Lauftext für die 80er-Jahre noch in der Fotostrecke mit Texten finden er und sein Buch, das einen solchen Sturm der Entrüstung auslöste, Erwähnung.
Es findet sich keine einzige Zeile, keine – wenigstens! – nachträgliche Anerkennung für einen Mann, der sich seit bald drei Jahrzehnten gegen das Vergessen engagiert. Der eine unerschrockene und couragierte Stimme geworden ist bei der Aufarbeitung unserer mörderischen Vergangenheit, der Autor etlicher Bücher zum Thema ist, der bei seinen unzähligen Lesungen und Auftritten in TV-Studios so unermüdlich vor dem warnt, was aktuell wieder geschieht?

Hat man diese aufsehenerregende Episode beim STERN einfach vergessen? Oder gibt es andere Gründe, sie unterschlagen zu haben?

Ich war damals 21 Jahre alt und erinnere sowohl den Titel als auch die Texte von Niklas Frank und wie ich diese sehr persönliche Anklageschrift vom Sohn dem Vater gegenüber empfunden habe.

Ich war geschockt, ich war entsetzt, ich war zutiefst betroffen. Und ich war zornig. Aber nicht auf Niklas Frank! Nicht auf den Sohn, der hier – er ist auch selbst ein Opfer seines verbrecherischen Vaters –, schonungslos Zeugnis ablegte über dessen mörderisches Tun.
Nein! Ich war stinksauer auf die Reaktionen der Öffentlichkeit. Entsetzt über die wüsten Anfeindungen, die üblen Beschimpfungen, die Herabsetzung, die Anklagen und all das Unverständnis, das auch 1987 noch – 42 Jahre nach Kriegsende – einem Menschen entgegengebracht wurde, der so couragiert und auch schonungslos mit sich selbst und seiner Wut zur Aufarbeitung und zur Wahrheitsfindung der unsäglichen Verbrechen beigetragen hat, die von Deutschen begangen worden waren.

Diese vielstimmige öffentliche Fehlreaktion miterlebt zu haben, das hat mich bis heute geprägt in meiner Einschätzung darüber, wie verlogen und scheinheilig viel zu viele Deutsche noch immer mit diesem Teil unserer Geschichte umgehen.

Und heute bin ich es wieder: Sauer!

Wenn nicht jetzt, wann dann müssen Menschen wie Niklas Frank als gutes und wichtiges Beispiel dienen, frage ich mich. Und das frage ich auch den STERN!

Es ist bitter! Und zwar nicht nur für Niklas Frank. Es ist auch bitter für den STERN und seine im Jahr 2000 gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung gegründete Kampagne „Mut gegen rechte Gewalt“.
Dieses laute Schweigen, ausgerechnet an dieser Stelle, empfinde ich als beredte Zustimmung für die jüngste Kritik der Amadeu-Antonio-Stiftung am STERN, die dem Magazin nach der Veröffentlichung einer Ausgabe mit Weidel auf dem Cover eine „Aufwertung, Verharmlosung und Normalisierung der AfD“ vorwarf.


„Hier töteten Nazis“, titelte der STERN in seiner Ausgabe 36/2023 über die Massentötungen im Konzentrationslager Plaszow bei Krakau.
Warum so zurückhaltend, lieber STERN?
Waren die Täter ausschließlich Mitglieder der NSDAP?
Waren sie Angehörige vom ominösen Stamm der „Nazis“, der am 20. Januar 1933 in Deutschland die Macht übernahm, abscheulichste Massenmorde beging und am 8. Mai 1945 und über Nacht wieder spurlos verschwand?

Warum kommt der STERN nicht auf den Punkt?
Dann müsste dort stehen: Hier mordeten Deutsche!

Warum tut sich der STERN bei diesem Thema so schwer, so deutlich zu werden, wie es das Gebot der Stunde fordert? So deutlich, wie es wichtig wäre, angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung In Deutschland, dem starken Zuspruch für die Rechten, dem Wiederaufflammen von Antisemitismus, dem alltäglich gewordenen Rassismus, der Zustimmung zu faschistoiden Ideologien von einem Drittel der Wählerinnen und Wähler?

Warum also diese Zurückhaltung?
Warum kein Niklas Frank in 75 Jahren STERN-Geschichte?
Liebe STERN-Redaktion, was habt ihr euch dabei gedacht?

Ein Kommentar

  1. Volkhard Rühs

    Es waren Deutsche. Die Zeiten, dass ich noch ein wenig Verständnis hatte für die Generation meiner Eltern und Grosseltern, ist lange vorbei. Sie haben es gewusst und mindestens einfach ignoriert. Erleben wir leider wieder. Jeden Tag. Und ein Traditionsmedium, wie der Stern, spielt mit. Buckelt vor den Rechtsextremen. Man will ja zum Jubileum nicht anecken? Für mich ist der Stern schon länger nicht mehr akzeptabel. Aber dies empfinde ich als Offenbahrungseid. Und einen Sieg der NSAfD. Pfui Deibel

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