
Ich möchte Sie bzw. dich mit Henia Bardach bekanntmachen; so heißt das kleine Mädchen, das da – fein herausgeputzt fürs Foto – in einem hübschen Kleidchen, mit einer Schleife im Haar und Blumen in der Hand auf einem Stuhl steht und gar sorgenvoll in die Kamera blickt.
Henia wurde 1936 in Gliniany geboren. Ihre Heimatstadt blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Mal gehörte sie zu Österreich, mal zu Polen, mal zu Deutschland und aktuell zur Westukraine. Ich habe das kleine Mädchen Henia zum ersten Mal in einer riesigen Online-Datenbank gesehen. Auf dem Foto ist Henia vielleicht 2 oder drei Jahre alt und ihr ganzes Leben liegt vor ihr. Vielleicht ist sie klug und kann auf ein Gymnasium gehen, Abitur machen und einen Beruf zu studieren? Vielleicht hat sie ein musisches oder sonstwie kreatives Talent, eine Begabung für Sprache, für Fotografie, für Kunst? Oder sie liebt Bewegung, mag Sport, tanzt gerne oder singt sehr gut? Vielleicht kann Henia Ingenieurin werden? Oder Bäckerin? Pilotin? Kammersängerin? Mama? Ehefrau? Geliebter Mensch und geschätzte Tochter und Frau? Vielleicht wäre sie eine prima Krankenschwester? Lehrerin? Schneiderin? Oder Bürokauffrau? Gereist, rund um die Welt? Großmutter und stolz auf ihre Enkel?
Alles scheint möglich, wenn man auf dem Foto in Henias kleines Kindergesicht blickt und sich vorstellt, dass sie heute eine Seniorin, dass sie 86 Jahre alt wäre. Eine betagte Frau, mit grauem Haar und einer Geschichte, die ihr Leben ist.
Doch dazu soll es nicht kommen.
In der zentralen Datenbank der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem ist Henia Bardach gelistet unter der Archiv-Nummer 15000/14129330. Und viel mehr ist von ihrem Leben nicht geblieben.
Eingereicht wurde das Gedenkblatt mit ihrem Namen und den wenigen Daten von Lea Kahana, und wenn meine Recherche stimmt, dann war diese Lea Kahana Henias Tante. In der Datenbank von Yad Vashem finden sich noch zwei weitere Menschen, derer Lea Kahana in dieser Form gedenkt: Riva Bardach, die ihre Schwester ist. Und Ytzkhak Meir Bardach, Rivas Mann und Leas Schwager. Sodass man annehmen darf, dass Henia das Kind dieser beiden Eheleute ist.
Henia, ihre mutmaßliche Mama Riva und ihr mutmaßlicher Vater Ytzkhak sind Opfer des deutschen Nationalsozialismus, sind Opfer des deutschen Massenmords, sind Opfer der Schoa geworden. „Juden wurden in der Schoa auf verschiedenste Weisen ermordet, unter anderem: Vergasen, Erschießen, lebendig verbrannt werden, lebendig begraben werden, Tod durch Erschöpfung durch Zwangsarbeit, Epidemien, mangels jeder hygienischer Bedingung oder dem Fehlen medizinischer Versorgung. Manche Juden nahmen sich das Leben, um der Festnahme und weiterer Verfolgung zu entgehen oder ihr hoffnungsloses, nicht nachlassendes Leiden zu beenden“, erläutert Yad Vashem.
Wo und wann Henia und ihr Vater starben, ist nicht vermerkt und auch nicht, wodurch. Riva Bardach wurde um 1945 ermordet. Wo und wie – auch das weiß man nicht. Henia, Riva und Ytzkhak sind drei Menschen, an die ich mithilfe von Yad Vashem erinnern will. Der Zufall hat sie in mein Leben gebracht über die „Remember Wall“ von Yad Vashem.
Henia, im Krieg geboren und von deutschen Faschisten getötet, wurde vermutlich keine 10 Jahre alt. Ihre Eltern starben kaum 40 Jahre alt. Eine Familie – ausgelöscht im Rassenwahn.
Henia.
Riva.
Ytzkhak.
Das sind drei Namen, drei Leben – drei Schicksale von mehr als 4,8 Millionen Menschen, an die man in Yad Vashem erinnern will.
Ich werde sie nicht mehr vergessen.
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(Weitere Informationen unter https://iremember.yadvashem.org/)
Fotos: https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de…